Unterwegs gesehen: Zufallskunst (2) und eine Erinnerung

Vor ein paar Wochen mittags in Agde in Südfrankreich. Wir sitzen im Wintergarten eines Bistros, lassen uns einen Mittagsimbiss schmecken. Mein Blick fällt über den Platz vor dem Restaurant auf eine Wand gegenüber. Ein breites Tor, zwei Müllkontainer, und am Tor lehnt etwas, das ich von ferne nicht genau erkennen kann.

Aus der Distanz nehme ich nur die großen Formen wahr: Ein rechteckiger Grund, auf dem eine große, schwarze Fläche liegt. Das Wenige, was vom Hintergrund frei ist, scheint weiß zu sein.

Nach dem Essen überquere ich den Platz, fotografiere das Brett hinter den Mülltonnen.

Mich erinnert es an zwei Bilder, die ich im letzten Jahr gesehen habe.

Franz Kline:

“Sabro” (1956)

Öl auf Leinwand; 202 x 120,5 cm

Pierre Soulages:

“Peinture, 10. November 1963” (1963)

Öl auf Leinwand; 202,5 x 159,4

Beide Bilder hängen in der Sammlung Berardo im Museum für moderne Kunst in Belém/Lissabon.

Ich bette hier die Fotos von der Website des Museums ein, da beide Künstler noch keine 70 Jahre tot sind und somit das Urheberrecht greift.

Schon damals habe ich mir ein paar Gedanken zu den beiden Bildern notiert.

Was fällt mir bei der Betrachtung auf?

Zu “Sabro” von Kline:

Die dunkle Fläche zieht mich an, lässt mich in ihr versinken. Ich trete näher ans Bild, entdecke die unterschiedlichen Strukturen in der von weitem homogenen Fläche.

Eine scheinbar simple Komposition. Oben und unten die hellen Bereiche, in der Mitte der dunkle, der etwa die Hälfte der Höhe einnimmt. Aber so simpel ist es nicht. Der dunkle Bereich ist nach rechts abwärts geneigt, wird dort breiter. Dazu kommen die sowohl nach oben als auch nach unten herausragenden senkrechten Streifen, die die Fläche aufbrechen. Und die waagerechte dunkle Fläche ist auch nicht geschlossen, am rechten Rand gibt es zwei kleinere helle Flecken, die den Blick fangen.

Die Elemente des Bildes haben alle unterschiedliche Größen. Ihre Formen ähneln sich, variieren aber im Detail.

Das Schwarz scheint über dem Weiß zu liegen, aber es gibt Stellen, an denen weiße Pinselstriche wiederum über dem Schwarz liegen. Die Flächen überlagern sich, verbinden sich.

Ich mag die Klarheit der Komposition, wenn man sie von Weitem sieht, und die Texturen, wenn man näher kommt.

Zu “Peinture” von Soulages:

Ähnliche Komposition (kreuzförmig), aber mehr Schwarz und die Übergänge zum Weiß transparent und dadurch bräunlich wirkend.

Hier gibt es kaum noch weiße Fläche, wenig helle Bereiche, das Schwarz dominiert noch deutlicher als bei Kline. Aber auch hier gibt es eine kleine hellere Fläche in der großen schwarzen, die den Blick auf sich zieht. Ein bisschen wie ein Auge, das mich anschaut.

Die transparenten Bereiche, ihr bernsteinfarbener Ton, scheinen zu leuchten im Kontrast zum massiven Schwarz. Die Pinselstriche sind hier erkennbar, verlaufen hauptsächlich waagerecht.

Der stärkste Kontrast liegt in der unteren linken Ecke, wo Schwarz auf Weiß trifft ohne Vermittlung von bräunlicher Transparenz. Mein Blick wandert immer wieder dorthin.

Warum faszinieren mich Bilder in Schwarz-Weiß?

Die beiden Bilder von Franz Kline und Pierre Soulages sind nicht die einzigen Schwarz-Weiß-Arbeiten, die ich im Laufe der Jahre spannend fand. Ich habe schon oft Bilder fotografiert, die mit solch starken Kontrasten arbeiten, zum Teil mit nur einer zusätzlichen leuchtenden Farbe (meist Rot oder etwas Rötliches).

Und jetzt wurde mein Blick unterwegs sogar von einem abgestellten Brett gefangen, das eine ähnliche “Komposition” zeigte. Was fasziniert mich also daran?

Ein Grund vielleicht, dass diese Bilder so anders sind als das, was ich üblicherweise mache. Vielleicht der Wunsch, selber mit starken Kontrasten zu arbeiten? Mit einfachen, klaren Kompositionen ohne viel Firlefanz? Wenige große Formen und nur ein paar kleine Details am Rande, um es aus der Nähe interessanter zu machen. Und vielleicht die starke Konzentration auf das Verhältnis von Form und Grund.

Was nehme ich für mich mit?

Ich möchte diese Inspiration nutzen bei meinen täglichen Collagen. Warum nicht eine kleine Serie machen, bei der ich mich auf Schwarz und Weiß konzentriere, eventuell mit einzelnen Farbakzenten. Eine Serie, bei der ich vor allem mit großen Formen spiele (groß in Relation zur Bildfläche) und kleinere Elemente und Linien als Ergänzungen einsetze.

Das ist ein neuer Ansatz für mich: Bilder als Anregung nutzen für Collagen. Sonst läuft das eher umgekehrt.

2 Kommentare zu „Unterwegs gesehen: Zufallskunst (2) und eine Erinnerung“

  1. Genau liebe Uta
    Solche “Zufallswerke” faszinieren mich genau so! Und manchmal möchte man die genau gleiche Idee gehabt haben, wie der Zufall sie hatte…

    1. Ich glaube, wir lernen durch solche Begegnungen das Sehen. Dinge wahrzunehmen nicht nur in ihrer eigentlichen Funktion. Und das kann so viel Inspiration bieten.
      Und die Zufalls-Ideen können wir doch genauso nutzen, oder?

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