Gestern wurde das „Unwort des Jahres 2018“ gewählt: Anti-Abschiebe-Industrie.
Es suggeriere, dass mit dem Schutz abgelehnter Asylbewerber Geld verdient werde und dass dadurch Asylberechtigte „produziert“ würden. Als Unwort gilt es, weil es eine Verschiebung der Sprache und des politischen Diskureses nach rechts zeige und sich die „Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern“ – so die Jury, die das Unwort jährlich aus den Einsendungen auswählt.
Sprache zeigt nicht nur, wie wir denken, fühlen, spiegelt also nicht nur unsere Wirklichkeit, Sprache schafft auch Wirklichkeit. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, wie wir sprechen, welche Worte wir verwenden.
(unbezahlte Buchvorstellung)
Ich habe gerade dieses handliche Buch von Robert Habeck gelesen, dass genau zum Thema passt.
Ich weiß, er hat sich letztens selber sprachlich vergaloppiert, hat sich aber auch dafür entschuldigt und seine Konsequenzen gezogen.
Robert Habeck ist – zusammen mit Annalena Baerbock – Bundesvorsitzender der Grünen. Aber schon länger ist er Schriftsteller, arbeitet also mit Sprache.
In dem Buch „Wer wir sein könnten“ beschäftigt er sich mit den Veränderungen der Sprache in der öffentlichen Diskussion, in Politik und Gesellschaft und mit den Auswirkungen, die diese Verschiebungen in der Ausdrucksweise auf unseren Alltag haben.
Politik und Sprache sind so eng verbunden, dass die Art und Weise, wie ich etwas sage, darüber entscheidet, wie ich denke und wie ich dann auch handele.
Wenn Worte wie „Flüchtlingsflut“ oder „Asyltourismus“, wie „Herdprämie“ oder „Lügenpresse“ verwendet werden, dann transportieren diese Worte einen Rattenschwanz von Assoziationen, von Vorstellungen, Bildern, die in eine bestimmte Richtung werten. Diese Wertung grenzt aus, es entsteht ein „wir“ und ein „die da“, und der Dialog, das Streitgespräch und der Kompromiss, die zu einer funktionierenden Demokratie gehören, werden untergraben.
Habeck analysiert den Ist-Zustand des Sprechens in Politik und Gesellschaft und setzt ihn in Beziehung zum geschichtlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Wie war es früher? Was hat sich verändert? Wie sieht es in verschiedenen Bereichen unseres Lebens aus?
Aber er bleibt nicht stehen bei dieser Analyse, sondern entwickelt eine Vision, wie sich Sprache im öffentlichen Raum (und natürlich auch im persönlichen) ändern müsste, damit sie eine offene Gesellschaft und Demokratie stützt und befördert.
Man merkt dem Buch an, wie sehr das Thema Robert Habeck bewegt. Es ist engagiert und gut verständlich geschrieben, bringt viele konkrete Beispiele aus Geschichte und aktueller Politik und zeigt genau den Sprachstil, den der Autor sich von uns allen wünscht.
Robert Habeck: Wer wir sein könnten
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2018
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