Masse statt Klasse? Echt jetzt?

„Quantity beats quality“ – das habe ich letztens irgendwo gelesen und habe eine steile Falte auf der Stirn bekommen. Das klingt, als wäre Massenproduktion besser als den Blick auf Hochwertiges zu legen. Aber so war das gar nicht gemeint.

Ich habe im Netz ein bisschen nach diesen Worten gesucht und bin auf eine kleine Geschichte gestoßen. Kurz zusammengefasst:

Ein Lehrer für Keramik teilt seinen Kurs in zwei Gruppen auft. Die Schüler in Gruppe 1 sollen am Ende des Kurses nach der schieren Menge an produzierten Keramik-Gefäßen benotet werden, die in Gruppe 2 nach dem besten Gefäß, das sie hergestellt haben.

Als es so weit ist, stellt sich heraus, dass die Gefäße mit der höchsten Qualität in Gruppe 1 hergestellt wurden. In der Gruppe, die sich eigentlich nur um die Quantität gekümmert hat.

Übungseffekt

Wenn ich etwas Neues lernen möchte, reicht es nicht, mir alles möglichst genau vorzustellen. Ich muss es tun. Und ich muss es immer wieder tun, muss üben.

Und genau das haben die Schüler in Gruppe 1 gemacht. Dadurch, dass sie möglichst viele Gefäße produzieren wollten, haben sie sich nach und nach in ihrer Technik weiterentwickelt, haben aus ihren Fehlern gelernt und nicht nur viele, sondern auch immer bessere Keramiken erschaffen.

Ein herausragendes Beispiel aus der Kunst ist Pablo Picasso. Er hat Unmengen an Zeichnungen, Bildern und anderen Arbeiten produziert – man spricht von rund 50.000 Werken. Und dabei finden sich nicht nur Meisterwerke, sage ich jetzt einfach mal.

Vor Jahren habe ich in einer Bibliothek zwei große, schwere Bände mit Picassos Zeichnungen durchgeblättert. Viele Seiten zeigten „Kritzeleien“, anscheinend schnell aufs Blatt geworfene Linien. Manche Motive tauchten immer wieder auf – Frauenköpfe, Stiere, Tauben – und mir wurde klar, dass diese Wiederholungen mit Variationen genau der Weg waren zu seinem einzigartigen klaren Strich.

Anti-Perfektionismus

Ich glaube, das ist ein weiterer Effekt, wenn man den Fokus auf die Quantität legt. Das einzelne Bild, die einzelne Zeichnung wird nicht mit so viel Bedeutung aufgeladen. Unsere Vorstellung von uns als Künstler*in hängt nicht davon ab, das macht locker.

Mir ist das beim 100-Tage-Projekt aufgefallen. Ich habe mir erlauben können, unperfekt zu sein. Wenn eine Skizze nicht gelungen war, hat mich das nicht weiter gestört. Sie war ja nur eine unter hundert. Die nächste würde wieder besser werden oder die übernächste.

Je weniger uns der Perfektionismus im Weg steht, desto freier können wir uns mit Neuem auseinandersetzen und weiterentwickeln. Und das macht dann auch viel mehr Spaß.

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